Diese Schlagzeile der BILD Zeitung vom Mittwoch der letzten Woche hat mal wieder ordentlich gesessen. Dick und fett prangte sie an allen Kiosken auf Seite Eins:„Brisanter Bericht vom Bundesrechnungshof: Milliarden-Abzocke mit Zahnspangen – Keiner weiß, was sie wirklich bringen!“
Können Millionen von Teenagern beim Blick in den Spiegel wirklich komplett irren? Und ist die Zunft der deutschen Kieferorthopäden eine Horde von Quacksalbern?
Am Mittwoch haben auch wir davon berichtet (BILD Zeitung stellt Zahnspangen in Frage).
Sicherlich hat es durchaus seine Berechtigung, mal nachzufragen, ob all die kieferorthopädischen Maßnahmen in ihrer Menge wirklich eine Berechtigung haben, denn im internationalen Vergleich sind wir hier absolute Spitzenklasse. Über 50 Prozent der Kinder in Deutschland bekommen eine Zahnspange. In Großbritannien, deren zahnmedizinische Versorgungssystem recht spärlich entwickelt ist, sind es rund 12 bis 18 Prozent und selbst in Schweden, dem Musterland der Zahngesundheit, sind es nur 27 Prozent.
Zwischen 1900 und 2600 Euro kostet heutzutage eine kieferorthopädische Behandlung durchschnittlich. Das ist fast doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren, berichtet das Magazin der Stern. Für die Krankenkassen bedeuten dies Ausgaben in Höhe von jährlich weit über eine Milliarde Euro.
Logisch, dass hier die Zahl der Kritiker hoch ist. Doch warum bringt BILD dieses Thema gerade jetzt so fett auf Seite Eins? Syrien, Nordkorea, Handelskrieg und Dieselskandal – haben wir nicht irgendwie ganz andere Probleme, als eine zu früh verordnete Zahnspange, liebe BILD Zeitung? Muss man diese Sau nun wirklich so dringlich durch’s Dorf treiben?
Aus Sicht des Springer Konzerns allerdings schon. Papst-Ehrungen, Kanzler-Kohl-Anbetungen, Dalai Lama und Refugees-Welcome-Kampangnen – unter dem Vorstandsvorsitzenden Matthias Döpfner und dem Chefredakteur Kai Diekmann wurde die BILD Zeitung fast so was wie salonfähig. Selbst eine Frauenquote konnte redaktionsintern in dieser männerdominierten Zeitungsbranche durchgesetzt werden. Die gefürchtete BILD Zeitung jetzt ein zahmes, liberales Wurstblatt?
Damit soll nun nach 15 Jahren endlich Schluss sein! Seit Jungspund Julian Reichelt (37!) das Kommando bei dem Hamburger Boulevard-Blatt übernommen hat, wird der Ton wieder deutlicher rauher, wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seiner Ausgabe vom 21. April berichtete. „Bis zu 300 Prozent mehr Angriffe – Messerangst in Deutschland“, „Razzia bei Deutschlands reichsten Hartz-IV-Betrügern“oder „Skandal um SS-Lied auf Heino-Platte“, so müssen jetzt die Schlagzeilen lauten. BILD soll endlich wieder die BILD werden. „Es wird getrieben und gejagt. Was BILD an Auflage verloren hat, macht Reichelt durch Gebrüll wieder wett.“, Zitat Der Spiegel.
Eine Schlagzeile wie „Milliarden-Abzocke mit Zahnspangen – Keiner weiß, was sie wirklich bringen!“ passt da natürlich hervorragend in das neuentdeckte Selbstverständnis des Hamburger Boulevardjournalismus. Daran muss man sich jetzt leider wieder gewöhnen müssen und das nicht nur als Kieferorthopäde…
Aber auch morgen wird wieder eine neue Sau durch das deutsche Zeitungsdorf getrieben werden. Wie wäre es denn mal damit, liebe BILD Zeitung: „Skandal – Deutsche Kinder putzen ihre Zähne zu gründlich. Drohen sie jetzt abzubrechen?“ – Das wäre doch auch mal eine schöne Schlagzeile!
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