Datenschutzgrundverordnung – ein Alptraum in der Zahnarztpraxis.
Ein Jahr Datenschutzgrundverordnung
Das hat uns echt überrascht! Als wir am 19. Mai 2018 diesen kleinen launigen Artikel auf unserer Website veröffentlichten, schlug er deutschlandweit ein wie eine Bombe. Rasend schnell verteilte sich der Link zum Text in den sozialen Netzwerken. Nach bereits wenigen Tagen hatten mehr als 30.000 User diesen Beitrag angeklickt und auch gelesen.
Als wir am 25. Mai den bereits 40.000sten Leser begrüßen durften, trat schließlich die neue Datenschutzgrundverordnung in Kraft. Damit endete für uns auch die Möglichkeit, weiterhin die Besucher unserer Netzseite zu zählen. Das hat sich bis heute nicht geändert. Daran halten wir uns strikt.
Auf unserer Homepage taucht kein Cookie auf, das penetrant um ein „OK“ zum Ausspionieren bettelt. Das ist gut für unsere Besucher, aber leider werden wir so niemals erfahren, wie viele nun wirklich diesen Text gelesen haben.
Sie können jetzt dazugehören und dabei ganz entspannt sein: Wir respektieren Ihre Privatsphäre.
Der Umgang wird sich ändern.
Bitte nicht wundern, wenn Sie vielleicht künftig beim Zahnarzt nicht mehr so herzlich begrüßt werden: „Guten Morgen Frau Müller! Ist aber schön, dass Sie noch rechtzeitig einen Parkplatz gefunden haben.“ – Diese freundlich gemeinte Floskel bei der Ankunft einer Patientin, könnte spätestens ab dem 25. Mai der Vergangenheit angehören. Dann nämlich tritt die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft… und macht uns alle wahrscheinlich zu sehr unfreundlichen Menschen.
Was von der Europäischen Union global als notwendige Maßnahme gegen die Datensammelwut von Facebook, Google & Co gedacht war, kann im Alltag einer Zahnarztpraxis oftmals seltsame Blüten treiben. Plötzlich werden menschliche Umgangsformen zum richtigen Problem.
Wir sind dann mal weg!
„Jetzt mal alle 5 Meter zurücktreten, aber sofort!“– Der Ton in deutschen Praxen könnte rauer werden. Bildet sich zum Beispiel zum Sprechstundenbeginn eine Schlange an der Rezeption, ist unbedingt ein Diskretionsabstand einzuhalten.
Sicherlich verfügen die Mehrzahl der Post- und Bankfilialen über entsprechend großzügige Foyers, aber bei wie vielen kleinen Zahnarztpraxen fällt man gleich mit der Tür ins Haus? Muss jetzt der Inhaber fix umbauen oder gar neue Praxisräumlichkeiten anmieten? – Realität wird hier schnell zum Wahnsinn.
Tanzen Sie Ihren Namen!
„Hä, wie bitte nochmal?“ – Es wird wohl auch demnächst viel geflüstert werden in deutschen Praxen. „Gedämpfte Kommunikation“ heißt dies in der neuen Datenschutzverordnung. An sich keine schlechte Sache, doch wie sag ich es Oma Schmidt, die sowieso schon seit Jahren schlecht hört oder Opa Meier, dessen Hörgeräte gerade mal wieder zur Reparatur sind? Zeichensprache, Geheimcode oder gar Pantomime? – Eine verbindliche Antwort auf diesen Frage gibt es leider nicht.
Tarnung ist alles!
„Wie, bin ich jetzt dran?“ – Kommt die Prophylaxeschwester ins Wartezimmer und ruft Frau Lehmann zur PZR auf, ist das bereits als Verstoß gegen die Datenschutzverordnung zu werten. Im Zweifel wird davon ausgegangen, dass es der Patient nicht wünscht, dass andere Patienten von seiner geplanten Behandlung Kenntnis nehmen. An sich eine gute und auch einfach umzusetzende Angelegenheit, aber könnte nicht schon das bloße Auftauchen der Prophylaxeschwester den Schluss zulassen, dass es sich bei dem nächsten Patienten um eine professionelle Zahnreinigung oder gar einer Paro-Behandlung handelt? Sollte sich jetzt die Prophylaxeschwester vielleicht verkleiden oder gar einen Schnurrbart ankleben?
Auch der Patient sollte im Wartezimmer genau überlegen, welche Zeitschrift er wohl aus dem Stapel ziehen möchte. Könnte doch sein gewählter Lesestoff einiges über seine privaten Interessen oder Hobbys aussagen oder sogar etwas über seine sexuelle Orientierung verraten. Also werte Männer, immer schön die Motorzeitung und nie das Modemagazin wählen!
Oropax oder Heavy Metal für alle?
In jeder Praxis versteht es sich von selbst, dass die Türen zu den eigentlichen Behandlungsräumen geschlossen bleiben sollten. Niemand will gern, auf dem Zahnarztstuhl liegend, von Fremden beobachtet werden oder, dass sein Gespräch mit dem Zahnarzt („Sie wissen doch, Herr Doktor, ich habe immer diesen fürchterlichen Würgereiz.“) für andere Patienten hörbar zu vernehmen ist. Doch verschwindet ein Patient in Behandlungszimmer Eins und es surrt danach der Bohrer, dann kann selbst ein zahnmedizinischer Laien schlussfolgern: Der muss wohl ein Loch im Zahn haben. – Müssen wir also demnächst für alle Patienten Oropax an der Rezeption austeilen oder die Musik im Wartezimmer so richtig laut aufdrehen?
3 x täglich?
Ein Rezept für ein Medikament lässt sich zweifellos diskret im Sprechzimmer erklären. In Zeiten datenvernetzter Praxen ist der entsprechende Druckauftrag auch fix zur Rezeptionen gesendet, dort gleich ausgedruckt und kann dem Patienten wortlos überreicht werden.
„Muß ich die nehmen bis sie alle sind?“ – Kommt aber diese Frage vom Patienten an der Rezeption, ist die Schwester wieder mal in heftiger Erklärungsnot. Entweder leise flüstern oder eben gar nichts sagen? Eigentlich müsste sie Herrn Maier wieder zurück ins Sprechzimmer schicken, aber da liegt ja bereits schon Frau Müller. Also, noch mal Platz nehmen, lieber Patient, der Doktor kommt gleich…
Kein Anschluss unter dieser Nummer…
So richtig kniffelig wird es, wenn in der Praxis das Telefon klingelt. Das soll ja schon mal vorkommen. Gibt die Stimme am anderen Ende der Leitung seinen Namen an, um einen Termin zu vereinbaren, darf man schon der Authentizität des Anrufers ausgehen. Auf die Frage hin, ob denn wohl beim nächsten Termin die Wurzelbehandlung endlich abgeschlossen ist, wird er leider keine Antwort mehr bekommen. Er darf also gern weiter bangen.
Und Tschüss dann!
Noch kniffliger wird es bei der Verabschiedung des Patienten. Die Schwester an der Rezeption kann hier nur hoffen, dass der Patient nicht allzu zufrieden mit der Behandlung ist. Denn möchte er auf Grund seiner guten Erfahrung einen Termin für seine Ehefrau oder gar seinen Sohn mitnehmen, könnte es kompliziert werden. Darf die Mitarbeiterin den Namen und das Alter des Patienten erfragen und dann als Termin in das Bestellbuch der Praxis tragen? Und ist auch der Patient überhaupt berechtigt, den Namen und die Telefonnummer der Neupatientin, sprich seiner vermeintlichen Ehefrau, an die Praxis weiterzugeben?
Die Aushändigung einer Visitenkarte der Praxis mit dem Hinweis, sie solle doch bitte selbst dann in der Praxis anrufen, hilft hier auch nicht weiter. Bereits in dieser Woche warnte öffentlich der Digitalverband Bitkom, dass alleine schon die Ausgabe einer Visitenkarte, ein Unternehmen nahe an den Rand eines Datenschutzverstoßes bringt. – Das ist nun wirklich mehr als skurril. Schließlich kann man davon ausgehen, dass jemand diese Visitenkarte genau deshalb überreicht, damit sein Gegenüber die Daten auch irgendwann nutzt.
Immer schön freundlich!
„Grundsätzlich sollte man davon ausgehen, dass man es in seiner täglichen Sprechstunde mit mündigen Patienten zu tun hat, die schon wissen, worauf sie sich bei einem Zahnarztbesuch einlassen.“, meint der Praxisinhaber Roger Barz.
„Für uns Ärzte ist die ärztliche Schweigepflicht sowieso ein alltägliches Prozedere. Diese Verschwiegenheit muss aber in nichtmedizinischen Bereichen nicht immer üblich sein. Die neue Datenschutzverordnung schärft noch mal die Aufmerksamkeit aller Branchen für dieses Thematik. Das ist echt wichtig! Aber was noch viel wichtiger ist: Auch in Zukunft sollten freundliche Umgangsformen und eine gewisse Zuvorkommenheit nicht der Vergangenheit angehören.“, meint der Inhaber der Praxis Zahngesundheit Halle.
Fotos: Fotolia/DDRock; Matthias Vogel, Roger Barz